Hat mich das Petrinum mit seiner aus der Zeit gefallenen, im Vergleich zu spezifisch berufsbildenden Schulen doch recht unkonkreten, „humanistischen“ Bildung für meinen Weg präpariert?
MJ 2005, habe ich in Wien Humanmedizin studiert. Auch in der Anatomie übernimmt Englisch die Funktion als lingua franca. Die vielen Jahre Unterricht in Latein muss man, gemessen an der Richtschnur medizinische Terminologie, als „overkill“ einstufen. Aber: Sowohl in den präklinischen Fächern Physik, Biologie oder Chemie, als auch in „medical English“ haben sich die im Petrinum erworbenen Kenntnisse (heute: „skills“) als mehr als konkurrenzfähig erwiesen.
Beim Memorieren von Pharmaka mit zufällig zugeordneten Namen war das im Petrinum beim Erlernen von mehreren Fremdsprachen erworbene Sitzfleisch und die Fähigkeit zum strukturierten Studium nützlich. Im Sezierkurs mit seinem speziellen Flair hat der trockene Petriner Humor zumindest nicht geschadet.
Beim Ablegen der Prüfungen an der MedUni Wien war das im Petrinum gefühlt hohe Niveau eine gute Vorbereitung auf den Prüfungsstress. Die Leibesübungen im Petrinum haben hervorragend für studentische Hallenfußballturniere und der Freizeitraum für Wuzzelmeisterschaften geharnischt.
Schon während des Studiums hat mich neben der klinischen Arbeit der wissenschaftliche Aspekt an der Medizin begeistert und ich habe zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und dann PhD Student im kardiovaskulären Bereich geforscht.
Meine klinische Ausbildung begann in Heidelberg, nach einem knappen Jahr dann ein Wechsel an die Kardiologie nach Salzburg. Die klinische Arbeit mit multimorbiden Patienten wirft ständig ethische Fragen auf.
Als Stichwörter seien nur Therapieziellimitierungen, soziale Brennpunkte aber auch etwas, das man nur als Petriner selbstverständlich unter Theodizee einordnet, genannt. Die im Petrinum vor allem beim Studium von Griechisch, Latein aber auch Religion erworbene Fähigkeit, auf Basis von realen Problemen zumindest konkrete philosophische Fragen formulieren und kontemplieren zu können, war dem eigenen Seelenheil sehr zuträglich.
An der Salzburger PMU konnte ich gemeinsam mit in- und ausländischen Kooperationspartnern (der Petriner Humor demaskierte sich als „skill networken“) meine wissenschaftliche Arbeit fortsetzen. November 2019 wurde ich Facharzt für Innere Medizin und konnte auch gleich in diesem Fach habilitieren.
Note bene: Für die (laufende) Wette unter Kollegen, wem es öfter gelingt, Text von Bob Dylan, Chuck Norris oder Sprüche in Latein/Griechisch in internationalen Publikationen zu verpacken, war das Repetieren von Morgensprüchen von unschätzbarem Wert!
Viele „unbezahlt“ durchgearbeitete Nächte und Wochenenden bedingten Enthusiasmus, Sitzfleisch und eine hohe Frustrationstoleranz (für jede akzeptierte Publikation wurden mindestens drei abgelehnt). Die Kenntnis des Ideals der ἀταραξία half, so manchen Ärger einzudämmen. Das Wissen um Themenkomplexe und Fragen, welche die Kinetik von Enzymen transzendieren, half, einen – humanistischen? – Gesamtkontext im wissenschaftlichen aber vor allem klinischen Alltag nicht zu vergessen.
Ich habe im Petrinum all die „skills“ gelernt, die das moderne Leben erfordert. Aber die Kenntnis der Vordenker um die großen Hügel des westlichen Abendlandes Golgotha, Akropolis und Kapitol (und Pöstlingberg?) ist von unschätzbarem Wert für den Berufsalltag und – vor allem – das wirkliche Leben.
Dr. Bernhard Wernly, MJ 2005
Artikel aus der PetrA-Ausgabe November 2020