Liebe PetrAmitglieder, liebe Leserinnen und Leser unserer Zeitschrift!
Während ich bei feuchtkaltem Wetter diese Zeilen schreibe, strebt mein Sinn bereits nach Süden. Fast täglich werfe ich einen Blick auf die Wetterkarten Griechenlands und stelle erfreut fest, die Tagestemperaturen klettern zwar langsam, aber doch stetig, Schönwetter natürlich vorausgesetzt, an den Küsten und auf den Inseln bereits auf 15 bis 20 Grad. Rhodos, eine im Sommer vom Tourismus geplagte Insel im Südosten der Ägäis und unweit der türkischen Küste gelegen, bietet zu dieser Jahreszeit die nötige Infrastruktur und die Chance auf gutes Wetter. Die Vorstellung von grünenden Wiesen, innere Bilder von allerlei zu dieser Jahreszeit eher kleinen und zarten Blumen, blühenden Mandelbäumen und von soeben zu sprießen beginnenden Gewächsen aller Art erwecken wieder meine Sehnsucht nach dem Süden. Die ersten warmen Sonnenstrahlen, ein im Freien genossener griechischer Kaffee, die im Licht funkelnde Akropolis von Lindos, plötzlich auftauchende, unerwartete Reste eines alten Theaters, da und dort in sanfte Landschaften eingefügte oder auf Bergkuppen thronende Kapellen – diese und ähnliche Szenen klammern sich hartnäckig in meinem Kopf fest und ich kenne mich zu gut, als dass ich nicht wüsste: diese Sehnsucht kann nur durch einen tatkräftigen Entschluss gestillt werden. Ein Flug nach Athen ist bereits gebucht. Der Anschlussflug nach Rhodos und ein Hotel lassen sich im Februar problemlos finden … . Leider kann ich euch von der Reise selbst in dieser Ausgabe nicht mehr berichten, da der Abgabetermin für die Beiträge der nächsten PetrAausgabe noch vor meiner Rückkehr fällig wird.
Ich kann mir vorstellen, dass nicht wenige von euch angesichts des langen Winters und des trüben Wetters mein Sehnen gut nachvollziehen können und selbst auch bereits vom Süden träumen, ja vielleicht ebenfalls schon Reisepläne schmieden. Und doch wissen wir alle, dass statt des Risikos, das eine Reise zu dieser Jahreszeit in sich birgt, geduldiges Warten vernünftiger wäre, kommt doch auch der Frühling bei uns bestimmt und Rhodos kann mich zu dieser Jahreszeit mit heftigem Regen und sturmartigen, kalten Winden tagelang gefangen halten.
Vielleicht kann sich jemand unter euch an den stoischen Philosophen Seneca erinnern, der uns in einem Brief deutlich vor Augen führt, dass wir beim Reisen zwar die Gegend, vielleicht auch das Klima wechseln, uns selbst aber so, wie wir eben sind, im Reisegepäck mitnehmen. Wenn die Seele aufgewühlt1 ist, kann die reizvollste Umgebung und mildes Klima keine Abhilfe verschaffen, wenn aber in unserem Inneren Ruhe und Stille wohnhaft geworden sind, vermögen keine äußeren Stürme und auch keine nassen, kalten Tage das Gemüt zu verstören. Epikur nennt diesen Zustand ἀταραξία (ataraxia), die Stoiker sprechen von der tranquillitas animi, der Seelenruhe. Warum also noch reisen? Sollte man nicht viel eher das miese Wetter als materia virtutis2, als Chance zum Training für die Seele dankbar annehmen und zu Hause bleiben? Wie immer man sich entscheiden mag, ich bin fest überzeugt, dass das Reisen (auch in dieser Jahreszeit) Abstand und Distanz ermöglicht, das Spannungsfeld zwischen Eigenem und Fremden wieder ins rechte Lot rückt, das Gesichtsfeld weitet und somit die Arbeit an sich selbst erleichtert. Dadurch können wir vielleicht unser Lebensschiffchen wieder besser durch die Wogen des Alltags steuern und Kraft finden für die nötige Besonnenheit und Geduld im Umgang mit uns selbst und den Mitmenschen. Das Training in diesen zwei Tugenden ist eine unabdingbare Vorübung für die „hehren Ziele“, zu denen uns die stoische Philosophie führen möchte. Richtig verstanden heißt also „leben lernen“ „Einübung in die Philosophie“, egal ob zu Hause oder beim Reisen, und ebenso gilt: „philosophieren lernen“ lässt sich als „Einübung in das (gelungene) Leben“ verstehen, ob zu Hause oder in Rhodos. Mit einem „ernsten Schmunzeln“ grüßt euch Heribert.
Heribert Derndorfer, MJ 1971
Obmann
PS: Ich danke allen herzlich, die für diese Ausgabe Beiträge und Fotos geliefert, ganz besonders aber denen, die das Layout gestaltet haben und hoffe, dass das Kalendarium (z.B. Einladung zum PetrA-Samstag, am 26. Mai, ab 15:00 Uhr) und die Beiträge im Inneren der Zeitschrift euer Gefallen finden.
1. Das griechische Verb dafür lautet ταράττειν (aufwühlen), so wie Poseidon das Meer aufwühlt und die Wogen durcheinanderbringt, kann auch die Seele in Unruhe versetzt werden. Dem aufgewühlten Meer wird die γαλήνη entgegengestellt, die Meeresstille, welche auch als Bild für den Zustand der ruhigen und ausgewogenen Seele verwendet wird.↩
2. „Stoff für die Ertüchtigung der Seele“↩
Artikel aus der PetrA-Ausgabe April 2018