Wurde der Religion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch prophezeit, mit fortschreitender Modernisierung aus dem öffentlichen Leben zu verschwinden und allenfalls im Privaten eine Rolle zu spielen, haben uns die Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte eines Besseren belehrt. Egal wie Religion wahrgenommen wird – ob als Triebkraft für Gewalt und Terror oder als Katalysator oder gar Initiator für notwendige gesellschaftliche Entwicklungen – eines ist unbestritten: Religion ist ein wesentlicher gesellschaftlicher Faktor unserer Zeit. Doch wie lässt sich dieser Faktor näher beschreiben? Oder anders gefragt: Welche Rolle spielen Kirche und Religion in Gesellschaft und Politik?
Zu eben dieser Frage diskutierten am 15.02. Dr. Georg Artelsmair (MJ 1979) und Univ.-Prof. Dr. Franz Gruber (MJ 1979) unter der Moderation von Schulseelsorger Dr. Georg Winkler. Dem Auditorium wurden dabei zwei sehr konträre Standpunkte präsentiert: Sowohl Dr. Artelsmair als auch Prof. Gruber stimmten darin überein, dass sich in der Geschichte der Katholischen Kirche die vielfältigsten Facetten von Gewalt zeigen. Während Prof. Gruber jedoch darauf hinwies, dass trotz dieser zu verurteilenden gewaltgeprägten Züge auch wichtige Impulse zur Humanisierung unserer Gesellschaft von Seiten der Kirche gesetzt wurden und auch weiterhin werden, sah Dr. Artelsmair diese Impulse nicht. Seiner Ansicht nach war es vielmehr alleine die Idee des Liberalismus, die zu Demokratie und Menschenrechten geführt hat und das auch weiterhin tut. Die Möglichkeit einer von Gewalt geläuterten Katholischen Kirche, wie Prof. Gruber sie skizziert, hielt Dr. Artelsmair mit Verweis auf die von Gewalt durchsetzten biblischen Texte für utopisch. In logischer Konsequenz wurde über die Interpretation solcher biblischer Textstellen ausführlich diskutiert.
Den Zuhörerinnen und Zuhörern wurde eine kontroverse aber dennoch faire Diskussion über die Rolle von Kirche und Religion in unserer Gesellschaft geboten. Davon inspiriert ließen es sich viele Gäste nicht nehmen, auch noch beim anschließenden gemütlichen Ausklang intensiv zu debattieren.
Georg Winkler, MJ 2001
Artikel aus der PetrA-Ausgabe April 2018