noch ist griechisch nicht verboten

noch ist griechisch nicht verboten

Lieber Tim,

weil ich dir versprochen habe, einmal aufzuschreiben, was ich von der Diskussion um Altgriechisch in der Höheren Schule halte, die folgenden – recht subjektiven – Zeilen. Also, ich sage Dir: ein freches Gespenst geht um – und es bedroht die schöne Königstochter Europa. Dieses Gespenst trägt das fahle Tuch, das es als Leichentuch über den Griechisch-Unterricht an unseren Höheren Schulen werfen will. Wozu es denn gut wäre, Griechisch zu lernen, schreiben die Anhänger dieses Gespenstes jetzt allenthalben und schreien lauthals: was kümmert uns unsere Kulturvermittlung von gestern, heute regiert die Globalisierung der nützlichen, der neoliberalen Art und nicht eine vor zweitausend Jahren zwar allgemein gesprochene (κοινὴ διάλεκτος !) aber inzwischen längst tote Sprache, mit der wir – so spotten sie – am besten in Sandalen und mit Laterne und am helllichten Tag „den Menschen“ suchen – ἄνθρωπον ζητῶμεν.

Warum diese Verachtung? Verleugnet unsere Zeit vielleicht ihre Herkunft, wenn sie das Altgriechisch vergessen möchte, weil sie fürchtet, es könnte sie überfordern – oder ihr gar ihre eigene Banalität vor Augen führen.

Nein, ich weiß, jammern bringt gar nichts. Auch nicht das nostalgische sich Berühmen, wie viele Verse einer aus der Ilias des Homer noch immer auswendig hersagen kann. Apropos Homer: das ist doch jene amerikanische Zeichentrickfigur, die sich durch Übergewicht, Faulheit, Intoleranz und Inkompetenz auszeichnet und sich deshalb großer Beliebtheit erfreut! Nein, jammern bringt nichts und auch nicht das Erzählen von meinem/unserem Griechisch-Professor am Petrinum, Dr. Georg Lampl, dessen Gedächtnisbild ich manchmal dankbar betrachte. Er hat uns vor vielen Jahren Sokrates fast wie einen christlichen Heiligen nahe gebracht.

Lieber Tim, jetzt im Ernst: wollen wir wirklich vergessen, dass das antike Griechenland noch immer lebendiger Bestandteil unseres gesellschaftlichen Lebens ist? Im Griechisch-Unterricht durften wir noch Ursprungsprozesse unserer Kultur erleben. Ziemlich hautnah. Und jetzt? Noch nie sind so viele Dramen der griechischen Klassiker aufgeführt worden wie während der letzten zehn, zwanzig Jahre, und sie machen uns tiefer betroffen, als manches Stück Literatur unserer Zeit. Noch immer finden wir in Platons Dialogen gültige Maximen für unser politisches Denkens, unsere Philosophie und unsere Ethik. Durch Übersetzen, und Interpretieren werden doch auch heute analytisch-kritisches Denken, die Fähigkeit zur Entwicklung von Problemlösungsstrategien und sprachlich schöpferische Kreativität gefördert. Und es macht mir heute noch Freude, wenn ich Schlüsselstellen im Neuen Testament im Original lesen und überhaupt manchem Wort, das mir heute wichtig ist, auch etymologisch auf den Grund gehen kann. Zum Beispiel: Ökologie, Anthologie, Philanthropie, Lyrik, Biotop, Poesie, Empathie.

Lieber Tim, du hast es ja gut. Deinen schönen Vornamen kann man wie einen teuren Mantel verwenden. Als Tim ist er unauffällig elegant, modisch und slim, dann, wenn du willst, kannst du aber auch sein warmes Unterfutter zeigen: Timotheus oder griechisch: Τιμόθεος, einer, der „Gott ehrt“ – in alter Bedeutung also Gott „fürchtet“, so wie sich ein deutscher Dichter des Barock seinen zweiten Vornamen eingedeutscht hat: Christian Fürchtegott Gellert (der hat „Die Himmel rühmen“ geschrieben, Beethoven hat’s vertont). Und weil wir schon wieder bei der Dichtung sind, möchte ich dir zum Schluss noch ein Gedicht der protestantischen Theologin Dorothee Sölle aufschreiben, das mir vor ein paar Tagen in die Hände gefallen ist:

noch ist Griechisch nicht verboten
meine Tochter fragt mich
Griechisch lernen wozu
sym-pathein sage ich [συμπαθεῖν]
eine menschliche Fähigkeit
die Tieren und Maschinen abgeht
lerne konjugieren
noch ist Griechisch nicht verboten

Und jetzt: leb wohl, lieber Timotheus, Χαῖρε!
Hubert Gaisbauer, MJ 1959

Artikel aus der PetrA-Ausgabe Juli 2021

Der Verein der Petriner Absolventinnen und Absolventen - kurz PetrA - fördert den gemeinsamen Kontakt und freundschaftliche Beziehungen zwischen ehemaligen Schülerinnen und Schülern des Bischöflichen Gymnasiums Petrinum in Linz. Dies geschieht durch die Publikation der Vereinszeitung, das Treffen bei gemeinsamen Veranstaltungen und die Organisation von Reisen.

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